Verschlusssysteme von Pistolen
Halbautomatische Pistolen gibt es seit dem Ende des 19. Jahrhunderts. Wegen der Komplexität ihres Mechanismus und wegen immens vieler technischer Neuerungen, die im Laufe der Jahre zu verzeichnen waren, ist die Anzahl der diversen Pistolenverschlusssysteme inzwischen fast nicht mehr zu überblicken. Wir werden uns daher auf die wichtigsten Arten konzentrieren, auf die, die heutzutage immer noch in modernen Pistolen zu finden sind.
Der Kammerstengelverschluss
Kammerstengelverschlüsse, häufig bei Repetierbüchsen zu finden, werden für einschüssige Pistolen zum Silhouettenschießen auf weite Entfernungen verwendet. Praktisch sind diese Pistolen extrem verkürzte, einschüssige Büchsen. Je nach verwendetem System ist die Kammer oder Hülse mit einer unterschiedlichen Anzahl von Verriegelungswarzen, vorne und/oder hinten befindlich, versehen. Beim Verschließen der ,,Drehkammer“ greifen die Verriegelungswarzen in dafür vorgesehene Aussparungen in der Hülse und bilden so während der Schussabgabe eine feste Einheit. Eine dieser Silhouettenpistolen ist etwa die Remington XP-l00, die ebenfalls über einen Drehkammerverschluss nach Mauserart verfügt. Ein anderes, einfacher konstruiertes Beispiel ist die Deutsche Anschütz-Silhouettenpistole.
Der Kammerverschluss ist ein sehr robustes und zuverlässiges Verschlusssystem, das extrem hohen Gasdruck ,,verdaut“ und damit auch für stärkste Kaliber geeignet ist.
Der Masseverschluss
Üblicherweise wird dieses einfache System für Selbstladepistolen mit einem kleineren Kaliber als 9 mm Para (Luger) verwendet. Eine bekannte Ausnahme bildet aber die Heckler & Koch VP70, eben im Kaliber 9 mm Para, die noch über einen reinen Masseverschluss verfügt. Da der Gasdruck von Pistolenkalibern, die kleiner als 9 mm Para sind, noch verhältnismäßig niedrig ist, brauchen Selbstladepistolen für diese Kaliber noch kein festeres Verschlusssystem. Das Verschließen des Systems während der Schussabgabe wird bei diesen Waffen rein durch das Gewicht (die Masse) des Schlittens, kombiniert mit der Kraft der Verschlussfeder bewerkstelligt. Durch die Verschlussfeder nach vorne gedrückt, presst das Bodenstück des Schlittens, auch Verschlussstück genannt, gegen den Patronenboden und den hinteren Teil des Patronenlagers. Das System funktioniert dann dermaßen, dass der entstehende Gasdruck nach dem ersten, manuellen Befüllen des Patronenlagers und nach der ersten Schussabgabe das Geschoß von der Hülse trennt und es durch den Lauf Richtung Laufmündung presst. Das durch die Zündung entstehende Absprengen des Geschosses von der Hülse und die Bewegung des Geschosses durch den Lauf gegen den Widerstand der Züge und Felder verursacht einen Gegendruck gegen den Innenteil des Bodens der Patronenhülse. Die leere Patronenhülse erhält dadurch den Drang, nach hinten aus dem Patronenlager gedrückt zu werden. Zwar wird dies durch den Schlitten oder eventuell ein separates Verschlussstück der Pistole verhindert. Die Federkraft und das Schlitten- oder Verschlussgewicht gewinnen erst wieder die Überhand über den durch die rückdrängende Patronenhülse verursachten Rückstoß, sobald der Verschluss ganz geöffnet, also der Schlitten ganz hinten ist.
2Der Ablauf des Pistolennachladevorganges ist also wie folgt: der Schuss wird abgefeuert; der Schlitten wird zurückgeschleudert und dadurch wird gleichzeitig der Hahn beziehungsweise das innenliegende Schlagstück gespannt; während des Schlittenrücklaufs wird die leere Hülse von der Auszieherkralle aus dem Lager gezogen und mittels der Auswerfereinrichtung durchs Auswurffenster ausgeworfen; nachdem der Schlitten vom Rückstoß angetrieben seine rückwärtige Stellung erreicht hat, wird er von der wieder überhandnehmenden Kraft der Verschlussfeder nach vorn getrieben; die Verschlussfeder befindet sich manchmal unter oder auch über dem Lauf beziehungsweise sie umgibt den Lauf bei seiner Vorwärtsbewegung streift der Stoßboden des Schlittens eine neue Patrone aus dem Magazin und führt sie ins nun ja leere Patronenlager ein.
Der Browning-Verschluß
Erfinder dieses bis heute noch hauptsächlich vorkommenden Verschlusssystems für Selbstladepistolen war der Amerikaner John Moses Browning (1855-1926). In verschiedensten, leicht abgeänderten Versionen findet das Browning-System heute Anwendung etwa bei Pistolen wie der FN High Power, den diversen Colt-Government-Modifikationen, der SIG P210 und der noch nicht vor allzu langer Zeit neu vorgestellten Walther P88.Verglichen mit noch vorzustellenden weiteren Systemen besticht das System von Browning besonders durch seine Einfachheit, die große Vorteile birgt. Das System ist sehr unempfindlich, etwa gegen Schmutz und Staub, hat sich als äußerst zuverlässig erwiesen und seine Produktionskosten sind relativ niedrig. Grundsätzlich lässt sich das Browning-Verschlußsystem in drei Unterarten einteilen, in das Browning-Colt-System, das Browning-FN-System und das Browning-Petter-System.
Das Browning-Colt-Systern
Es arbeitet mit einem oder zwei Scharnierpunkten unter dem Lauf. Auf dem Lauf befinden sich ein bis drei Verriegelungswarzen, die im geschlossenen Systemzustand in entsprechende Aussparungen der Schlitteninnenseite eingreifen. Nach der Schussabgabe bewegen sich Schlitten und Lauf, durch den Rückstoß angetrieben, fest verbunden einige Millimeter zurück. Dann, bei dem oder den Scharnierpunkten angekommen, kippt der Lauf ab. Dies führt dazu, dass sich die Verriegelungswarzen nun nicht mehr in den zugehörigen Aussparungen des Schlittens befinden, der Lauf in seiner Kippstellung verbleibt, und der Schlitten jetzt ungehindert seinen Weg nach hinten antreten und der oben beschriebene Nachladevorgang ablaufen kann.
Das Browning-FN-System
Es arbeitet anstelle von beweglichen Scharnierpunkten mit einem fest unter dem Patronenlager angebrachten, speziell ausgeformten Stahlteil. Hier befinden sich zwei Verriegelungswarzen auf der Oberseite des Laufes. Nach der Schussabgabe bewegen sich Lauf und Schlitten, von den Verriegelungswarzen fixiert, wieder gemeinsam einige Millimeter zurück, bis das Stahlteil unter dem Lauf komplett auf das Gegenstück im Pistolenrahmen aufgeschoben und gestoppt wird. Aufgrund der Form des unter dem Lauf befindlichen Stahlteils wird dieser nach unten gedrückt, weshalb wieder die Verriegelungswarzen die Aussparungen des Schlittens verlassen und der Schlitten so weiter nach hinten geschleudert werden kann.
Das Browning-Petter(-SIG)-System
Es funktioniert fast wie das Browning-FN-System. Der Unterschied ist lediglich, dass sich hier auf der Laufoberseite keine Warzen befinden. Beim Browning-Petter-System ist der hintere Teil des Laufes, das Patronenlager, als massiver Block ausgeformt, dessen Kanten sich genau in korrespondierende Bereiche des Schlittens im Auswurffensterbereich einfügen. So ist der Lauf wieder fest mit dem Schlitten verbunden, bis der Lauf abkippt.
Der Walther- Blockverschluss
Dieses Verschlusssystem finden wir bei den Walther-Pistolen P38/Pl, P38-K, P4 und P5, zudem bei den Beretta 92-Modellen und den Taurus-Pistolen PT92 und PT99 Das Walther-Blockverschlußsystem funktioniert folgendermaßen: unter dem Lauf befindet sich ein bewegliches Stahlstück, das die Verbindung zwischen Lauf und Schlitten bildet. Nach der Schussabgabe gleiten Lauf und Schlitten gemeinsam zurück. Nach etwa 8 Millimetern gemeinsamen Weges trifft ein auf dem Verschlussstück unter dem Lauf befindlicher Stift auf eine Aussparung im Waffengriffstück. Der Stift wird dadurch zwischen Unterseite des Laufes und Oberseite des Verschlussblocks geschoben. Der keilförmige Stift drückt den Verschlussblock nach unten und setzt damit die Verbindung zwischen Lauf und Schlitten außer Kraft; der übliche Nachladevorgang kann ablaufen. Statt einer Verschlussfeder um den oder unter dem Lauf gibt es bei diesem System zwei Federn, von denen sich je eine auf jeder Seite des Waffenrahmens befindet.
Der Kniegelenkverschluss
Der Kniegelenkverschluss war eine der ersten starren Verriegelungsarten für halbautomatische Pistolen stärkerer Kaliber. Man findet ihn erstmals bei der Borchardt-Pistole, später verbessert bei der berühmten Luger 08-Pistole. Da es einige Nachteile aufwies, wurde das System, obwohl technisch hochinteressant, nie zum eigentlichen ,,Standard“, wie etwa die Verschlüsse nach dem Browning-Prinzip. Zunächst war das Kniegelenkverschlusssystem ziemlich kompliziert und daher sehr aufwendig herzustellen. Die Toleranzen zwischen den einzelnen Komponenten mussten sehr gering sein, um ein sicheres Funktionieren der Technik zu gewährleisten. Im weiteren hatte sich die legendäre 08-Pistole als Hauptvertreter der Kniegelenktechnik, eine zunächst rein zur Verwendung im 1. Weltkrieg hergestellte Waffe, in der Praxis als sehr schmutzempfindlich erwiesen, auch ,,verdaute“ sie nur ganz bestimmte Munitionssorten. Dass die 08 immer noch so populär ist, ist sicherlich nur nostalgiebedingt. Auch hat sie ihren Ruf wohl ihrem sehr charakteristischen Erscheinungsbild und ihrer zweifelsohne sehr interessanten handwerklichen Technik zu verdanken. Der Kniegelenkverschluss funktioniert mittels einer zweiteiligen Hebelstange, die drei Gelenke aufweist, von denen das mittlere Gelenk als mit Daumen und Zeigefinger greifbarer Kniegelenkhebel ausgeformt ist. Anfänglich, nach dem Durchladen der Waffe, befindet sich die Hebelstange komplett in horizontaler Position. Nachdem das Geschoß nach der Schussabgabe den Lauf verlassen hat, bewegt sich aufgrund des entstehenden Gasdruckes die das Patronenlager abschließende Hebelstange zurück. Gleichzeitig wird die leere Hülse ausgezogen und der zweiteilige Hebel wird insgesamt in eine V-förmig nach oben gerichtete Schräglage gebracht. Schließlich ist der Kniegelenkhebel ganz nach oben gedrückt, und die Hülse ist ausgeworfen. Beim Vorgleiten in die erneute Horizontalposition nimmt die Hebelstange mit dem Stoßboden eine Patrone aus dem Magazin mit und drückt sie ins Patronenlager.
4Die starre Verriegelung dieses Systems wird vornehmlich dadurch verwirklicht, dass der mittlere Gelenkpunkt etwas tiefer als die gedachte Horizontalachse des gesamten Systems liegt. Bis der Gelenkpunkt durch die Kraft des Gasdruckes über die Horizontalachse gedrückt wird, vergeht bei komplett geschlossenem System so viel Zeit, dass die weiteren Nachladeschritte erst sicher ablaufen können, wenn das Geschoß den Lauf verlassen hat. Wie gesagt gibt es eindeutig einfachere und zuverlässigere Verschlusssysteme.
Das Gasdruckverschlusssystem
Bei dieser Verschlussart, die für die stärksten Patronenarten prädestiniert ist, handelt es sich um eine Art Masseverschluss, verbunden allerdings mit berechneter Ausnutzung der entstehenden Pulvergase. Es gibt zwei Prinzipien: a. Der Schlitten umgibt exakt den Lauf. In diesem befinden sich mehr oder weniger kleine Bohrungen, durch die die Pulvergase teilweise entweichen können. Das entweichende Gas wird, vereinfacht ausgedrückt, zwischen Lauf und Schlitten eingefangen und sorgt so dafür, dass durch diese Art Druckkammer die Rückwärtsbewegung des Schlittens kurzfristig blockiert wird. Beispiel für dieses Prinzip ist die Steyr GP 9 mm Para-Pistole. b. Hier ist die Verschlussfeder oder manchmal auch ein separater Kolben oder ein Kolben mit Kolbenfeder in einer zylindrischen Druckkammer integriert. Bei der Schussabgabe fließt ein Teil der entstehenden Gase durch eine unmittelbar nach dem Patronenlager im Lauf angebrachte Bohrung in den unter dem Lauf befindlichen Zylinder. Während des Gasdruckaufbaus, also solange sieh das Geschoß noch im Lauf befindet und diesen praktisch verschließt, sorgt der Gasdruck in der Druckkammer gegen die regulär wirkende Rückstoßkraft dafür, dass das Öffnen des Systems verzögert beziehungsweise blockiert wird. Nachdem das Geschoß den Lauf verlassen hat, dieser also nun ,,offen“ ist, fließt das im Druckzylinder befindliche Gas in den Lauf zurück und der Gasdruck geht auf Null zurück. Erst dann kann der Schlitten, vom Rückstoß angetrieben, nach hinten, und der Nachladevorgang läuft ab. Das beschriebene System finden wir etwa in den verschiedenen P7-Modellen von Heckler & Koch. Die unter a. und b. beschriebenen Gasdruck-Verschlußsystenie haben beide lediglich einen Nachteil: Da Bleigeschosse die erforderlichen Gasaustrittsbohrungen im Lauf verschmieren könnten, können entsprechende Waffen praktisch nur mit Mantelgeschossen verwendet werden.
Der Rollenverschluss
Der Rollenverschluss findet in vielen großkalibrigen Pistolen, Maschinenpistolen und Gewehren von Heckler & Koch Verwendung. Dieses System hat die deutsche Firma Heckler & Koch berühmt gemacht. obwohl sie es eigentlich nicht selbst erfunden hat. Der erste Hersteller. der eine Waffe mit diesem Verschlusssystem auf den Markt brachte, war die tschechische Firma CZ mit ihrer CZ52-Pistole. Beim Rollenverschluss befindet sich in seitlichen Verlängerungen des Laufes je eine halbkugelförmige Ausfräsung. Darin greifen im geschlossenen Zustand der Waffe zwei Stahlrollen ein, die beweglich ins Schlitten befestigt sind. Nach der Schussabgabe halten die Rollen den Schlitten so lange fest und mit dem Lauf verbunden, bis das Geschoß den Lauf verlassen hat: erst dann geben sie das System zum Öffnen frei, und der Nachladevorgang läuft in bekannter Manier ab. Das Rollenverschlussprinzip hat zwei Vorteile: Es handelt sieh dabei um ein sehr stabiles und präzises System. auch wird durch die beiden zurückzudrängenden Rollen der Waffenrückstoß verzögert und abgemildert, was beim Schießen äußerst angenehm ist. Nachteil des Systems sind seine hohen Herstellungskosten; es muss äußerst präzise gearbeitet werden. Ein weiterer Nachteil ist, dass Waffen mit dieser Verschlussart in der Regel nur problemlos Munitionssorten verfeuern, auf deren Gasdruck sie genau abgestimmt sind. Theoretisch könnte es sein, dass Waffen mit Rollenverschluss technisch abgeändert werden müssen, nur weil das Gewicht der üblicherweise verfeuerten Geschosse gravierend geändert wurde.
Der Rotationskammerverschluss
Seit geraumer Zeit gibt es einige Selbstladepistolen, die als Verschlusssystem ein vom Drehkammerverschluss der Büchsen abgeleitetes System aufweisen. Die Kammer oder Hülse, im Schlitten oder Verschlussstück integriert, verfügt entweder vorn, im Mittelbereich, oder hinten über eine Anzahl von Verriegelungswarzen. Beim Schließen des Systems wird die Kammer gedreht, und die Warzen greifen in korrespondierende Aussparungen ein, die sich entweder an Ausformungen des hinteren Bereiches des Laufs oder je nach Pistolenart auch ans Rahmen befinden können. Die Rückstoßenergie der Waffe und/oder auch der durch das Abfeuern der Patrone entstehende Gasdruck bringt die Verschlusskammer entsprechend verzögert dazu. sieh um einen gewissen Grad zu drehen. Dadurch werden die Verschlusswarzen ausgeschwenkt, und die Kammer kann sich nach hinten bewegen. Bei dieser Verschlussart ist der Lauf zumeist fest mit dem Rahmen verbunden, und nur der Verschluss und der Schlitten bewegen sich. Das System kann durchaus mit dem von Repetierbüchsen verglichen werden, allerdings laufen die Vorgänge eben halbautomatisch durch Rückstoß oder Gasdruck bedingt ab. Beispiele für die Rotationskammerverschlusstechnik sind die Pistolen Colt 2000 des renommierten amerikanischen Herstellers Colt und die Pistole Desert Eagle der israelischen Firma I.M.I. (Israel Military Industries)
Hier noch ein paar eindrückliche Animationen >> hier